Ernährung
Biologisch produzierte Lebensmittel und neue Innovationen im Food-Bereich prägen derzeit den Nahrungsmittelbereich. Vor allem aber ist die heutige Ernährung untrennbar mit dem Kampf gegen den Klimawandel verbunden, erklärt Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach im Interview.
Interview — Helen Weiss
*Prof. Dr. Christine Brombach
ist seit 2009 am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil tätig. Sie ist Mitautorin der Studie «Essen der Zukunft: wer oder was bestimmt die Ernährung von morgen?».
«WIR ESSEN IN ZUKUNFT KLIMAFREUNDLICH UND NACHHALTIG»
Unser Ess- und Kochverhalten verändert sich stetig. Welche Trends sind momentan zu beobachten?
Verglichen mit der Ernährung vor 20 Jahren sind derzeit verschiedene Trends erkennbar, die sich auch teilweise widersprechen. Aber das ist nicht verwunderlich, sind doch auch wir selbst in unserem eigenen Ernährungsverhalten paradox. Morgens muss es meist schnell gehen, da machen wir nicht viele Experimente. Mittags gibt’s einen Happen auf die Hand oder man bereitet zuhause rasch etwas zu, das sich in der Mikrowelle erwärmen lässt. Schliesslich herrscht hier ebenfalls Zeitdruck, etwa wenn die Kinder hungrig aus der Schule nach Hause kommen. Abends soll es dann gesund und nachhaltig sein, meist bleibt aber nicht viel Zeit, da man noch ins Training muss oder eine Veranstaltung besucht. Eines lässt sich aber ganz klar beobachten: Im Gegensatz zu früher ist die Diskussion um Essen ubiquitär geworden. Essen, und vor allem, was ich wie, wann, wo, mit wem esse, ist mehr denn je ein Statement. Es sagt etwas darüber aus, wer ich bin oder sein möchte – ob vegan, nachhaltig, traditionell oder woke. Daher sind auch unterschiedliche Trends zu beobachten. Zum einen wird eine Zunahme an Convenience-Produkten verzeichnet, zum anderen geht der Trend zu mehr Regionalität und Saisonalität. Neben dem Konsum von gesundem Fast Food wird auch wieder mehr selbst gekocht, gebacken und eingemacht.
Stichwort Fast Food: Immer mehr Menschen sind übergewichtig. Lässt sich dieser Entwicklung überhaupt Einhalt gebieten?
Das ist schwer, denn Übergewicht hängt ganz klar mit unserer Lebensweise zusammen. Dazu gehören neben der Ernährung auch das Schlaf- und Bewegungsverhalten. All diese Faktoren verändern sich und haben derzeit leider auch einen ungünstigen Einfluss auf unseren Körper. Verschiedene Strategien und Kommunikationsmassnahmen waren diesbezüglich in der Vergangenheit nicht besonders erfolgreich.
INFO
RECYCELTES GEMÜSE?
Das israelische Start-up Anina nutzt recyceltes Gemüse, um gesunde pflanzenbasierte Fertiggerichte herzustellen. Die Mahlzeiten können in wenigen Minuten auf dem Herd oder in der Mikrowelle zubereitet werden und entsprechen zwei Gemüseportionen. Dafür wird laut Hersteller ausschliesslich Gemüse verwendet, das sonst weggeworfen worden wäre. Für ihr innovatives Projekt gewannen die Jungunternehmer den ersten Platz bei «The Pitch», Israels führendem Start-up-Wettbewerb. www.anina.com
Wie wird sich unsere Ernährung verändern, wovon werden wir etwa mehr und wovon weniger essen?
Nun, ohne die Kristallkugel zu verwenden, es wird sich sehr vieles verändern (müssen). Die Ernährung bzw. das gesamte Ernährungssystem ist für fast ein Drittel aller Ressourcenverbräuche verantwortlich. Die industrielle Agrarproduktion ist ein globaler Treiber für Biodiversitätsverluste, CO2-Emissionen und Landverbrauch. Dadurch bietet sich hier auch ein enormer Hebel, wenn es um etwa die Verringerung des Klimawandels geht. So sind es vor allem die tierischen Produkte, deren Verzehrmengen wir reduzieren müssen, ganz im Sinne der «EAT-Lancet Commisson», die mit der «Planetary Health Diet» eine Strategie für eine gesunde und nachhaltige Ernährung veröffentlichte, die gleichzeitig die Gesundheit des Menschen und des Planeten schützen kann. Denn die Produktion von Tierfutter ist hier der treibende Faktor, der stark zu Buche schlägt.
Stehen in Zukunft ausreichend Proteine zur Verfügung, wenn der Fleischkonsum abnehmen soll?
Ja, aber es ist es wichtig, die Produktion pflanzlicher Proteinquellen zu erhöhen. Das sind vor allem Hülsenfrüchte und daraus hergestellte Produkte. Nötig ist zudem ein erhöhter Konsum von Nüssen, Kernen, Samen sowie Vollkorngetreide.
INFO
ROLLE DES DETAILHANDELS
In der Studie «Essen der Zukunft: wer oder was bestimmt die Ernährung von morgen» der Heinz Lohmann Stiftung (siehe auch Interview) wird unter anderem die Rolle des Detailhandels beleuchtet. «Der Handel kann durchaus das Verhalten der Kunden lenken, dies zum Beispiel durch zur Verfügung gestellten Informationen direkt am Verkaufspunkt. Weiter haben auch die Platzierung der Waren, die angebotene Auswahl sowie die Preisgestaltung einen direkten Einfluss auf die Wahl der Konsumenten», heisst es in der Studie.
Die Ackerböden laugen aus, die Weltbevölkerung wächst, hinzu kommen Klima- und Umweltschutz: Kann die Ernährung der Menschheit in der Zukunft überhaupt noch sichergestellt werden?
Es wird eine grosse Herausforderung werden, die Weltbevölkerung dauerhaft zu ernähren. Es ist möglich, auch 10 Milliarden Menschen nachhaltig zu ernähren. Das zeigen die Berechnungen der «Planetary Health Diet» auf. Dazu sind aber einige «Stellschraubenveränderungen» notwendig. Etwa die Reduzierung der Menge an Food Waste, der Umstieg auf eine regenerative und nachhaltige landwirtschaftliche Produktion, die Reduktion des Konsums von tierischen Produkten und zeitgleich Erhöhung der Zufuhr an pflanzlichen Proteinen.
Wie werden wir in 20 bis 30 Jahren essen?
Wir essen in Zukunft klimafreundlich, nachhaltig und flexitarisch. Der deutsche «Trendreport Ernährung 2023» sieht in der klimafreundlichen und nachhaltigen Ernährung die wichtigste Entwicklung. Viele Produzenten treten als Trendsetter in Erscheinung, beispielsweise bei gesundem Convenience Food, Bio-Marken oder der Vielfalt an vegetarischen und veganen Lebensmitteln. Das wiederum fördert den Flexitarismus. So können sich viele Menschen, die den Veganismus als zu extrem empfinden, mit einer pflanzenbetonten Ernährung anfreunden, da sie tierische Produkte nicht komplett verbietet.