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Wohnraum

Immer mehr Menschen, immer weniger Bauland – eine Entwicklung, die sich noch verstärken dürfte. Gemäss Prof. Dr. Peter Schwehr wird es deshalb eng für das klassische Einfamilienhaus. Im Interview zeigt der Experte auf, wie Gebäude in Zukunft stattdessen aussehen könnten und inwiefern das auch gegen Vereinsamung hilft. 

Interview — Thomas Bürgisser

*Prof. Dr. Peter Schwehr
TU, SIA ist unter anderem Gründer und Leiter des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur an der Hochschule Luzern Technik & Architektur sowie Professor mit Forschungsschwerpunkt der Strategischen Transformation von Gebäuden und Quartieren.

«BAUFLÄCHE IST NUN EINMAL KNAPP»


Peter Schwehr, im Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur der Hochschule Luzern entwickeln Sie und Ihr Team unter anderem Szenarien für einen zukunftsfähigen Siedlungsraum. Welche Herausforderungen kommen denn auf uns zu?
Die drei grossen Herausforderungen sind Verdichtung, bezahlbarer Wohnraum und eine klimagerechte Stadt. Man geht davon aus, dass bis im Jahr 2050 fast 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten lebt. Wir reden von der Stadt der Vielen. Hinzu kommt, dass die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz auch bei uns den Mittelstand unter Druck setzt. Wir müssen davon ausgehen, dass der Wohlstand sinkt. Zusätzlich müssen wir unsere Städte fit für den Klimawandel machen. Wir brauchen also neue Konzepte für das Leben in der Stadt.

Spielt da das klassische Einfamilienhaus noch eine Rolle?
Baufläche ist nun einmal knapp, vor allem in Städten und Agglomerationen. Wir sollten haushälterisch damit umgehen. Aber auch auf dem Land ist es an der Zeit, von den Einfamilienhäusern, wie wir sie heute kennen, wegzukommen. Diese verbrauchen viel zu viel Fläche für zu wenige Menschen.

Wie wäre es mit einem Tiny House?
Das Tiny House auf der grünen Wiese ist ein Exot und hat kein Multiplikationspotenzial, um grossflächig neuen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Hinter dem Wunsch von Tiny Häusern steht aber das Bedürfnis nach Individualität, Aneignung und Privatheit. Völlig berechtigte und elementare Wohnbedürfnisse, die häufig bei Überbauungen vergessen gehen. Allgemein gilt es weiterhin, qualitativ hochwertigen Wohnraum zu schaffen und nicht Kaninchenställe!

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LEBEN AUF KLEINSTEM RAUM?

Wie lässt sich Wohnfläche möglichst effizient nutzen und gleichzeitig eine gute Wohnatmosphäre schaffen? Mit dieser Frage hat sich das international tätige Architekturbüro UNStudio beschäftigt. Seine Plug-In-Module beinhalten Küche, Schlafzimmer sowie Arbeits- und Wohnzimmer; sie sind in unterschiedlichen Farben und Materialisierungen erhältlich. Alle Module lassen sich verschieben, sodass sich auf 40 m2 Wohnfläche eine 3-Zimmerwohnung realisieren lässt. Die Module passen in die ebenfalls modulartig aufgebauten Gebäude von UNStudio, wodurch keine Toträume entstehen. Mit dem zukunftsträchtigen Van B in München konnte das Architekturbüro bereits ein modulares Mehrfamilienhaus erstellen. 
(Foto: UNStudio)

Wie sieht denn das Wohngebäude der Zukunft aus?
In der Stadt hat der Blockrand oder andere Typologien mit fünf bis sechs Geschossen weiterhin grosses Potential. Ein vielfältiges Angebot an Wohnungen ermöglicht Wohnraum für die jeweilige Lebenssituation. Gleichzeitig braucht es eine Standardisierung von Fenstern, Türen usw., damit sich die einzelnen Elemente später auch wieder einfacher weiterverwenden lassen, Stichwort Kreislaufwirtschaft. Vor allem aber müssen die Wohnungen flächenreduziert sein und sollen sich am Grundbedürfnis orientieren. Zusätzlicher Bedarf wie eine Werkstatt oder Gästezimmer wird geteilt. Dadurch spart man Fläche und Kosten, es werden aber auch soziale Kontakte aktiviert, die Nachbarschaft gestärkt und einer drohenden Vereinsamung entgegengewirkt.

Aber ist das wirklich mehrheitsfähig?
Das Programm dafür und die Übersetzung in ein Gebäude oder eine Siedlung sind anspruchsvoll und erfordern konstruktives und gestalterisches Können wie auch ein gesellschaftliches Verständnis. Alleine die Tatsache, dass wir schnell bezahlbaren Wohnraum in grosser Anzahl benötigen, wird den Modulbau und die Standardisierung fördern. Dass flächenreduziertes Wohnen funktioniert, beweisen ausserdem vor allem Genossenschaftsprojekte schon heute. Bei der Huebergass in Bern etwa sind mehrere Gebäude über eine gemeinsame Gasse erschlossen. Hauptsächlich in den oberen Stockwerken befinden sich die Wohnungen, was Privatheit ermöglicht, im Erdgeschoss sind mehrere gemeinschaftlich genutzte Räume untergebracht. Eine wegweisende Überbauung, die innert kürzester Zeit belebt war und kein aufwendiges Animationsprogramm benötigte.

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NATUR IN DEN EIGENEN VIER WÄNDEN

Zahlreiche Studien belegen: Ein Aufenthalt in der Natur ist sowohl für die Psyche wie auch für den Körper gut – Betonwüsten hingegen schädigen die Gesundheit. Da sich die Siedlungsgestaltung in vielen urbanen Gebieten kaum mehr beeinflussen lässt, versucht das Architektur-Konzept Biophilic Design die Natur möglichst umfassend in ein Gebäude zu integrieren. Dazu zählen begrünte Fassaden und Innenwände, Mikroparks im Innenraum, Wasser und sogar Tiere wie Fische oder frei fliegende Vögel. Man versucht so, hochverdichtete Zentren von innen heraus lebensfreundlicher zu machen.

Jetzt haben wir viel über Verdichtung gesprochen. Aber verstärkt dies die Auswirkungen des Klimawandels nicht sogar noch?
Ein klassischer Zielkonflikt. Die Stadt der Zukunft muss dicht bebaut sein, gleichzeitig aber auch über Frischluftschneisen und ausreichend Grünflächen verfügen, über die Wasser bei Starkregen gespeichert und bei Hitze und Dürre kontrolliert wieder abgegeben werden kann.  Bei der Umsetzung dieser sogenannten Schwammstadt kommt der Mobilität eine Schlüsselrolle zu. Anstatt den Strassenraum wie bisher für den individuellen motorisierten Verkehr vorzusehen und um Mobilität zu parken, sollten wir ihn als grüne Lunge mit hoher Aufenthaltsqualität nutzen. Das setzt jedoch ein funktionierendes ÖV-System voraus. Barcelona und Kopenhagen praktizieren dieses Konzept bereits mit grossem Erfolg. Klar ist aber auch, dass es nicht die eine richtige Lösung gibt. Dafür benötigt es Aushandlungsprozessen zwischen der Zivilgesellschaft, Experten und der Politik. Schliesslich geht die Stadt uns alle an!

 

WEITERE INFORMATIONEN

Weitere Informationen zum Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) sowie zu aktuellen Forschungsergebnissen und Positionspapieren des CCTP finden Sie hier.