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Digitales Bauen

Wie sehen Häuser und Städte in einigen Jahrzehnten aus? Welche Rolle spielen neue Technologien in der Architektur – und werden künftig Roboter bauen? Konrad Graser* gibt einen Ausblick in die Zukunft.

Interview — Tanja Seufert

Dr. Konrad Graser
unterrichtet an der ZHAW im Fachbereich Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen. Der promovierte Architekt forscht über digitale Fabrikation und die Auswirkungen neuer Technologien auf die Organisation von Bauprojekten.

«NEUE TECHNOLOGIEN ERMÖGLICHEN VIELFÄLTIGERE ARCHITEKTONISCHE AUSDRUCKSFORMEN»

 

Wenn Sie einige Jahrzehnte in die Zukunft blicken: Wie sehen die Städte und Häuser dann aus?Viele Städte sind immer noch so gebaut, wie es für das 20. Jahrhundert typisch war: aufgeteilt in Wohn-, Büro- und Gewerbeviertel. Diese werden sich zunehmend vermischen, und es entstehen neue, für mehrere Nutzungen anpassbare Gebäudetypen. Städte und Gebäude werden sicher nachhaltiger gebaut sein, was die Bauweise, die Materialien und auch den Betrieb betrifft. Ich gehe zudem davon aus, dass sich Städte dem Klima anpassen: mehr Grün, weniger versiegelte Flächen. Städte sind eigentlich Ökosysteme, die heute noch stark von Energie- und Materialflüssen von aussen abhängig sind. Sie können sich nicht, wie natürliche Ökosysteme, selbst erhalten. Ich denke, das wird sich ändern, indem zum Beispiel Energie dezentraler erzeugt wird und Gebäude, z.B. durch Solarstromerzeugung, selbst zu «Kraftwerken» werden. Womöglich werden die Bürogebäude der Zukunft keine reinen Glasfassaden mehr haben, weil es energetisch unsinnig ist, in alle Himmelsrichtung gleichermassen grosse Glasflächen zu installieren.


Kommen Häuser künftig aus dem 3D-Drucker?
Zumindest teilweise, ja. Der 3D-Druck ist schon heute in Einzelfällen im Einsatz. So lassen sich damit Wände und andere vertikale Elemente drucken, die dann auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Viel Aufwand kann so minimiert werden, zum Beispiel braucht es dann keine Betonschalungen mehr bzw. es lassen sich auch diese mit dem 3D-Drucker herstellen. Auch braucht es potenziell weniger Material, weil sich durch die digitale Fertigung die Statik optimieren lässt. Doch schon bei der Planung spielt die Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle. So gibt es bereits «Digital Twins», virtuelle Zwillinge von physischen Bauten. Damit lässt sich ein Gebäude über den gesamten Lebenszyklus analysieren und optimieren, etwa den Energiehaushalt. Diese Entwicklung wird sich sicher fortsetzen.

INFO

DANK BIM WIRD EFFIZIENTER GEBAUT

«BIM» (Building Information Modeling) ist bereits heute eine gängige Methode, um Gebäude und Infrastrukturen zu planen, zu bauen und zu betreiben. Mit BIM lassen sich digitale 3D-Modelle von Gebäuden erstellen, die unter anderem Informationen zu Materialien und Konstruktionsmethoden umfassen. Dank der zentralen und immer auf dem neusten Stand gehaltenen Daten wird die Zusammenarbeit zwischen Architektur-, Ingenieur-, Bau- und Facility-Management-Unternehmen vereinfacht.

BIM begleitet den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und ermöglicht zum Beispiel, die Energieeffizienz eines Gebäudes zu überwachen. Auch lassen sich mit BIM nötige Sanierungen von Bauten frühzeitig erkennen und planen.

Wie wird künstliche Intelligenz im Bauwesen eingesetzt?
Sie wird heute bereits von Architekturbüros eingesetzt, um beispielsweise weitere Versionen eines Entwurfs zu erstellen. Hier fungiert die KI als eine Art Gegenüber, mit dem man zusammenarbeitet. Sie hat das Potenzial, Entwürfe zu optimieren. So liesse sie sich unter anderem mit guten Beispielen von bereits gebauten Gebäuden trainieren. Damit sie ihre Vorteile ausspielen kann, muss die KI in der frühesten Projektphase – nämlich wenn es um grundlegende Entscheidungen geht – zum Einsatz kommen.


Werden dereinst Roboter Gebäude bauen?
Heute besteht eine Grenze zwischen Entwurf und Ausführung: Das Architekturbüro entwirft, die Baufirma führt aus. Künftig werden die Daten aus der Planung vermutlich direkt auf Maschinen wie zum Beispiel 3D-Drucker oder Bauroboter übertragen, die klare Grenze zwischen Entwurf und Ausführung verschwindet. Das erlaubt mehr Flexibilität: Man wird nicht mehr so sequenziell bauen, sondern quasi in Echtzeit Änderungen vornehmen können. Diese Flexibilität eröffnet neue Möglichkeiten, insbesondere bei Umbauten von bestehenden Gebäuden. Dennoch liegt die Vollautomatisierung des Bauens noch in weiter Ferne, wenn sie denn überhaupt je Realität wird. Mensch und Maschine haben beide ihre Stärken. So werden Roboter bzw. Maschinen eher die körperlich anstrengenden und gefährlichen Arbeiten übernehmen.


Inwiefern fördern die digitale Fabrikation und das digitale Bauen die Energieeffizienz von Gebäuden?
Mit digitaler Fabrikation lässt sich potenziell materialeffizienter bauen. Dadurch hat sie den grössten Einfluss auf die graue Energie, sprich, die Energie, die für die Gewinnung der Baustoffe, deren Transport, Lagerung und Rückgewinnung nötig ist. Wenn man den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes digital plant, hat das grosses Potenzial – die Gebäude haben eine längere Lebensdauer und es gibt mehr Möglichkeiten, um den Betrieb energieeffizienter zu machen.

INFO

EXPERIMENTELLES WOHNMODUL UMAR

NEST ist das modulare Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa und der Eawag. Integraler Bestandteil von NEST ist das Wohnmodul Umar. Es besteht vollständig aus sortenreinen, wiederverwendbaren, wiederverwertbaren oder kompostierbaren Materialien. UMAR vereint damit zwei wichtige Faktoren für zukunftsgerichtetes Bauen: Modularität und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Letztere hängt nicht nur von der Materialwahl, sondern auch massgeblich von der Konstruktionsweise ab. Denn Recycling ist nur möglich, wenn sich Bauteile am Ende ihrer Lebensdauer einfach und mit wenig Energieaufwand in ihre Bestandteile trennen lassen. Umar ist ein Beweis dafür, dass die möglich ist – ohne dass die Architektur darunter leiden muss.

Jeder Altbau ist ein Einzelfall: Lassen sich Sanierungen in Zukunft dank neuer Technologien effizienter und kostengünstiger durchführen als heute und falls ja, wie?
Davon bin ich überzeugt. Wenn ein Gebäude in die Jahre gekommen ist, gilt heute oft die Maxime: Abreissen und neu bauen. Das verbraucht jedes Mal eine grosse Menge an grauer Energie.
Die neuen Technologien werden mehr Flexibilität ermöglichen: Dank flexibler Prozesse, wie sie zum Beispiel durch KI und digitale Fertigung möglich werden, können wir auch auf Unerwartetes schnell reagieren. Auch lässt sich der Bestand besser aufnehmen, etwa mit Scannern – das erlaubt es, eine Sanierung gezielter und effizienter zu planen. Meine Vision sind Gebäude, die sich dem gesellschaftlichen Wandel anpassen – anstelle des ewigen Zyklus von Abbruch und Neubau. Vorbild sind historische Gebäude, die eine Summe aus jahrhundertelanger Bautechnik sind. Schauen wir uns die Riegelbauten im Kanton Zürich oder den Strickbau in Graubünden an: Das waren schon vor Hunderten Jahren Systembauten, die sich laufend weiterentwickelt haben. Und sie stehen heute noch! Es wäre wünschenswert, wenn Gebäude wieder eine Geschichte erzählen könnten.


Wir haben viel über umweltverträgliches Bauen gesprochen, dazu gehört auch Verdichtung anstelle von Flächenversiegelung. Können neue Technologien die verdichtete Bauweise ästhetischer und lebensfreundlicher machen?
Das hoffe ich. Verdichtung setzen wir heute mit Monotonie gleich, denn seit einigen Jahrzehnten dominiert ein architektonischer Standard: nämlich der günstigste. Diese Verbindung von Effizienz und Monotonie sieht man vielen – nicht allen – Neubauten an. Die neuen Technologien ermöglichen vielfältigere architektonische Ausdrucksformen, mehr Kreativität – sie sind eine riesige Inspiration, Dinge anders, schöner und lebenswerter zu gestalten.