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Mobilität

Was ist Urban Mobility? Welche Mobilitätskonzepte und Fahrzeuge haben Zukunft? Und wo werden wir in 20 Jahren Ferien machen? Der Mobilitätsexperte Arnd N. Bätzner* erklärt die verschiedenen Begriffe und Szenarien.

Interview — Tanja Seufert

*Arnd N. Bätzner
MSc ETH, cand. Ph.D. University of St. Gallen, ist ein international renommierter Mobilitätsexperte. Sein Unternehmen Baetzner Metropolitan ist auf fortschrittliche Mobilitätslösungen spezialisiert, zudem war er VR-Mitglied bei Mobility Carsharing. Er leitet den strategischen Beirat des Ministeriums für Klimaschutz und Verkehr der Republik Österreich und ist Vorsitzender des Ausschusses für dynamisch ladende Elektrobusse der UITP (Weltverband für öffentlichen Verkehr).

«MIT DEM AUTO IN DIE STADT ZU FAHREN, HAT KEINE ZUKUNFT»


Der Begriff «Urban Mobility» ist in aller Munde. Was verstehen Sie darunter?
Wesentlichen umfasst Urban Mobility die Art, wie wir uns in der Stadt bewegen – nicht nur als Individuum, sondern auch als Gesellschaft. Dabei fragen wir uns: Was erwartet die Gesellschaft mit ihren verschiedenen Lebensentwürfen von der Mobilität? Wie lässt sich Mobilität einfacher, nachhaltiger, günstiger, familien- und gesellschaftskompatibel gestalten? Erst in zweiter Linie geht es um die Frage, ob es steuernde Eingriffe braucht und wie man diese technisch umsetzen kann. 

Zu Stosszeiten sind vollgestopfte S-Bahnen und Busse genauso normal geworden wie Staus auf der Strasse. Neue Mobilitätskonzepte sind gefragt – aber wie lassen sie sich überhaupt umsetzen? 
Das Problem mit diesen Peaks muss systematisch angegangen werden. Hier bietet das Homeoffice derzeit die grösste Chance: Es kann die Verkehrsüberlastung während der Stosszeiten deutlich verringern. Aber man könnte auch die Schulanfangszeiten verschieben, damit Pendler und Schüler nicht alle gleichzeitig die ÖV benutzen. Die Strassen wiederum sollten primär für jene, die ihr Fahrzeug wirklich brauchen, nutzbar sein: für Transporte und Lieferungen, für Handwerk, Industrie und Bau. Auch wenn es viele nicht gerne hören, so ist Autofahren derzeit viel zu billig, was einer Verlagerung zu den ÖV entgegenwirkt. Jedoch muss man vorsichtig sein mit dirigistischen Eingriffen: Es ist immer besser, die Menschen zu überzeugen, als einfach etwas zu verbieten. Aber: Als Einzelperson im Privatwagen in die Stadt zu fahren, hat keine Zukunft, denn in den Städten ist dafür schlicht kein Platz mehr vorhanden.

Der Einzelhandel fordert genau das Gegenteil: mehr Parkplätze.
Das Argument, dass die Innenstädte ohne Parkplätze veröden, hört man von Alaska bis Australien. Doch ökonomisch gesehen ist das Gegenteil der Fall: Es sind ja nicht die Anzahl Parkplätze, die eine Stadt attraktiv machen. Ein hochstehendes ÖV-Angebot gehört bereits heute zu den wichtigsten Punkten im internationalen Standortwettbewerb. Hier müssen die Schweizer Städte in Zukunft mithalten können. Es ist richtig, dass jede Umstellung kurzfristig für Umsatzeinbussen sorgt. Diese werden anschliessend jedoch überkompensiert, es findet ein Umsatzwachstum statt. Das grösste Problem für den Einzelhandel in der Innenstadt sind nicht die fehlenden Parkplätze, sondern – nebst dem Onlinehandel – der «Big Box Retail» auf der grünen Wiese. Das sind extrem unnachhaltige Modelle, die viel Verkehr generieren und dem Einzelhandel in der City die Kunden entziehen. Diese Trennung von Wohnen, Einkaufen, Freizeit und Arbeiten, die man von den USA übernommen hat, ist nicht mehr zeitgemäss.
 

INFO

WENN DROHNEN PAKETE AUSLIEFERN

Das Projekt Loop von Elon Musks Firma Boring Company wird auch als «Tesla-Tunnel» bezeichnet. Es ist ein öffentliches Schnellverkehrssystem, das eher einer unterirdischen Autobahn als einem U-Bahn-System ähnelt. Wenn eine U-Bahn-Linie 100 Haltestellen hätte, würde ein Zug normalerweise an jeder Station halten und die Fahrt darin zu lange dauern. Im Gegensatz dazu reisen Loop-Passagiere mit Tesla-Autos direkt an ihr Ziel, ohne an den Zwischenstationen anzuhalten. Ausserdem ermöglicht das Expresssystem den Fahrzeugen, schneller zu fahren als herkömmliche U-Bahn. Der erste Tunnel ist in Las Vegas bereits seit April 2021 in Einsatz. Bis heute hat der Las Vegas Convention Center Loop über 1,15 Millionen Passagiere befördert, mit einer Spitzenkapazität von über 4.500 Passagieren pro Stunde und über 32.000 Passagieren pro Tag. 

Foto: Matternet/Business Wire

Was ist mit den Leuten, die gerne Auto fahren oder darauf angewiesen sind?
Die meisten Leute fahren Auto, weil sie dadurch Zeit sparen – aus rein praktischen Gründen also. Viele empfinden Autofahren als Belastung, man denke nur an das im ländlichen Raum weit verbreitete «Elterntaxi». Es wäre für viele Familien eine Entlastung, wenn die Kinder selbstständig ins Ballett oder zum Fussball fahren könnten. Doch auch für den Arbeitsweg wäre ein attraktiver ÖV eigentlich komfortabler, hier lässt sich entspannen oder E-Mails bearbeiten. Das Zauberwort heisst «Entlasten»: Der ÖV soll die Menschen entlasten. Sie sollen ihn gerne nutzen und nicht, weil sie müssen. Ich halte, wie gesagt, nichts von Verboten.

Was sind die städteplanerischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen?
Das wichtigste Instrument ist der liniengebundene öffentliche Verkehr: Er wirkt raumordnend. Ein gutes Beispiel ist die Zürcher S-Bahn. Dass in jeder Immobilienanzeige im Grossraum Zürich die Nähe zur S-Bahn erwähnt wird, ist ein Zeichen für eine funktionierende Raumplanung. Zukunft haben hochkapazitive Verkehrsmittel wie Bahn, Tram und Hochleistungsbusse. Das machen wir in der Schweiz schon gut. Wo noch Bedarf besteht, ist der suburbane und ländliche Raum: Hier braucht es neue Formen der Mobilität, zum Beispiel automatisierte On-Demand-Kleinbusse. Solche neuen Angebote, welche die Bevölkerung auch wirklich überzeugen, werden in den nächsten 5 bis 10 Jahren entstehen. 

Ganz wichtig ist aber, dass der öffentliche Verkehr als sicher empfunden wird – dieser Punkt ist im Moment meine grösste Sorge. Das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum wird auch von Einzelfällen beeinträchtigt, hier müssen wir extrem aufpassen. Wenn uns die Kontrolle darüber entgleitet, fahren die Leute nur noch Auto – das sieht man unter anderem in den USA, in Brasilien oder Südafrika. Benimmt sich zum Beispiel im Zug jemand daneben, muss muss dies härter geahndet werden als heute. 

INFO

UNTERIRDISCHE TESLA-AUTOBAHN

Das Projekt Loop von Elon Musks Firma Boring Company wird auch als «Tesla-Tunnel» bezeichnet. Es ist ein öffentliches Schnellverkehrssystem, das eher einer unterirdischen Autobahn als einem U-Bahn-System ähnelt. Wenn eine U-Bahn-Linie 100 Haltestellen hätte, würde ein Zug normalerweise an jeder Station halten und die Fahrt darin zu lange dauern. Im Gegensatz dazu reisen Loop-Passagiere mit Tesla-Autos direkt an ihr Ziel, ohne an den Zwischenstationen anzuhalten. Ausserdem ermöglicht das Expresssystem den Fahrzeugen, schneller zu fahren als herkömmliche U-Bahn. Der erste Tunnel ist in Las Vegas bereits seit April 2021 in Einsatz. Bis heute hat der Las Vegas Convention Center Loop über 1,15 Millionen Passagiere befördert, mit einer Spitzenkapazität von über 4.500 Passagieren pro Stunde und über 32.000 Passagieren pro Tag. 

Foto: Rob Pegoraro/ Flickr.com

Welche Fahrzeuge haben Zukunft? 
Allgemein gilt, dass Fahrzeuge auf Schienen Zukunft haben, sie arbeiten extrem energieeffizient – denn sie nutzen die Energie direkt von der Stromleitung, ohne sie in einer Batterie speichern zu müssen. Aus dem gleichen Grund haben auch moderne Trolleybusse mit kleiner Traktionsbatterie grosses Zukunftspotenzial. Zudem werden auf dem Land kleine Elektrobusse für den bedarfsabhängigen Verkehr unterwegs sein. Sie fahren autonom und holen die Leute ab, um sie beispielsweise zum nächsten Bahnhof zu bringen. 

Was ist mit dem Elektroauto?
Das Elektroauto wird sich weiterentwickeln und weiter durchsetzen. Allerdings bleibt ein Elektroauto ein Auto, das im Stau steht und die Zersiedelung fördert – es ist in Teilen eine Pseudolösung. Zudem sind Batterien aus vielen Gründen problematisch. Viel effizienter ist immer eine direkte Einspeisung von Energie ins Fahrzeug. Ich denke, man muss auch hier einen unideologischen Diskurs führen.

Flugzeuge gelten als besonders klimaschädigend. Wo und wie werden wir in 20 Jahren Ferien machen?
Die Dekarbonisierung wird nicht funktionieren, wenn wir weiterhin so fliegen wie heute. Die  Direktflüge an praktisch jede Destination – sind ökologisch gesehen eine Katastrophe, zudem sind viele Regionen durch den Flugverkehr völlig überlastet. Aus dem Abenteuer Reisen wurde ein Konsumprodukt. Das muss sich ändern, doch hier wird es der Markt nicht alleine regeln. Es wird also regulative Eingriffe geben. So sollten idealerweise vermehrt grosse Hubs entstehen, die Feinverteilung der Passagiere erfolgt dann auf Schienen. Wer zum Beispiel nach Phuket reisen möchte, fliegt mit einem grossen Flugzeug von Frankfurt nach Singapur. Der restliche Weg wird auf einem effizienten Schienennetz zurückgelegt. Fliegen wird also nicht unbedingt teurer, aber mühsamer werden. Wer auf die Malediven reist, ist vielleicht 24 Stunden unterwegs. Die Leute werden reagieren, indem sie weniger, dafür aber für längere Zeit reisen. Natürlich haben Flugzeuge riesige Vorteile gegenüber dem Bodenverkehr, allerdings erst nach grossflächiger Dekarbonisierung. Dafür wird aktuell an Wasserstoff als Treibstoff geforscht. Der Vorteil von Wasserstoff ist seine extrem hohe Energiedichte, die an die von fossilen Energien herankommen. Doch hat Wasserstoff derzeit noch das Problem, dass sich seine Energie nicht effizient genug gewinnen lässt.