Maritimes Ökosystem

Auf dem Wasser leben? Eines der Unternehmen, welche das Meer als neuen Lebensraum erschliessen, ist die deutsche Floating Homes. Geschäftsführerin Katarina Breves erklärt, wie das Konzept funktioniert.

Interview — Raphael Hegglin

*Katarina Breves
ist Geschäftsführerin von Floating Homes. Die Firma entwickelt und baut seit 2006 schwimmende Häuser zum Wohnen und fürs Gewerbe. Am Hamburger Victoriakai hat Floating Homes Deutschlands erste schwimmende Haussiedlung realisiert.

«DAS SCHWIMMENDE HAUS WIRD ZU EINEM BESTANDTEIL DES MARITIMEN ÖKOSYSTEMS»


Etwa 70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Auf der ganzen Welt laufen Projekte, um diese Fläche als neuen Lebensraum zu erschließen – sogar die Vereinten Nationen fördern diesen Ansatz mit dem Programm UN-HABITAT. Wie schätzen Sie das Potenzial für neue Lebensräume auf dem Wasser ein? (Europa und weltweit) 
Das Potenzial ist riesig. Schliesslich sind bei schwimmenden Häusern zahlreiche verschiedene Grössen und Varianten denkbar. Wir haben aktuell sowohl schwimmende Häuser, die zum dauerhaften Wohnen verwendet werden, als auch solche, die als Ferienwohnung dienen. Außerdem haben wir Haustypen, die als Veranstaltungsort genutzt werden oder in denen primär in Büros gearbeitet wird. Im Prinzip ist es uns möglich, ganze Stadtviertel auf dem Wasser zu bauen. Dieses Ziel haben wir als Vision für die Zukunft ins Auge gefasst. 

Ein schwimmendes Haus, das klingt zunächst einmal nach aufwendiger Technik und hohem Wartungsaufwand. Wie sind Ihre Häuser konzipiert?
Unsere schwimmenden Häuser sind aus hochwertigen Materialien mit besonderem Fokus auf Qualität und Langlebigkeit gebaut. Wir legen beim Bau unserer Häuser entsprechend viel Wert auf Nachhaltigkeit. Das hat den positiven Effekt, dass der Wartungsaufwand gering ist. Die stabilen Pontons aus Stahlbeton sind wartungsfrei und haben eine Lebensdauer von deutlich über 80 Jahren. Die schwimmenden Häuser sind an die Versorgungsnetze an Land angeschlossen, die Versorgung mit Strom, Trinkwasser und Wärme ist also sichergestellt. Die Holzrahmenbauweise erlaubt zudem einen Gebäudebetrieb auf dem Niveau von Energiesparhäusern an Land. Grundsätzlich ist auch eine autarke Versorgung eines schwimmenden Hauses möglich. 

INFO

VERTICAL CITY: STÄDTE WERDEN DREIDIMENSIONAL

Die wachsende Bevölkerung sowie der technische Fortschritt befeuern die Urbanisierung. Bauland wird dadurch immer knapper. Die naheliegendste Lösung ist Bauen in die Höhe. Dass Städte weiterhin in die Höhe wachsen, gilt daher weitherum als sicher. Doch die Wolkenkratzer der Zukunft werden nicht einzelne, solitäre Gebäude sein: Sie sind mittels vertikaler Plattformen miteinander verbunden, wodurch sich das Leben in einer Stadt auf verschiedenen Ebenen abspielen wird. Auch dürfte es in Zukunft wesentlich leichter fallen, Wolkenkratzer mit 500 m Höhe und mehr zu erstellen. Denn neue Baumaterialien wie Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Carbon Nanotubes) sind 16 mal stärker als Beton. Sie ermöglichen den Bau grosser Gebäude, Plattformen und Brücken sowie neuartige Gebäude-Formen.
(Foto: 3000ad/iStock.com)

Was passiert mit schwimmenden Häusern bzw. Städten bei einem Sturm oder gar einem Tsunami?
Bei schwimmenden Häusern ist ein Vorteil die Tatsache, dass sie in der Höhe flexibel sind. Sie schwimmen immer auf der Wasseroberfläche mit – ganz egal, wie hoch oder tief der Wasserstand ist. Bei einer Sturmflut bewegen sich die schwimmenden Häuser entsprechend dem Wasserstand nach oben oder unten. Dies geschieht entlang der Dalben, an denen die Häuser mittels Dalbenschlösser verbunden sind. Ausserdem lassen wir bei neuen Projekten im Rahmen der Standortanalyse verschiedene Wind- und Wellengutachten erstellen. Entsprechend werden die Befestigungs- und Sicherheitssysteme den örtlichen Bedingungen angepasst. Dazu gehört auch die Berücksichtigung von Extremwetterereignissen.

In welchen Regionen der Welt besteht der grösste Bedarf, Wasseroberflächen als neuen Lebensraum zu erschliessen?
Überall dort, wo der Bauraum an Land bereits völlig ausgereizt ist. Das können grosse urbane Gebiete sein, wo Bedarf an Wohnraum besteht, aber keine Baugrundstücke mehr vorhanden sind. Das können aber auch ländliche Gebiete sein, wo schwimmende Häuser im Einklang mit der natürlichen Umgebung ein ganz besonderes Wohngefühl entstehen lassen. Unabhängig von unserem Fokus sind global betrachtet natürlich Küstengebiete und Inselstaaten, die vom Meeresspiegelanstieg betroffen sind, mögliche Orte, an denen schwimmende Häuser für neuen Lebensraum sorgen können. Hier können schwimmende Bauwerke allgemein einen Beitrag als Anpassungsstrategie für Hochwassergebiete leisten.

Welche technologischen Fortschritte sind notwendig, um das Leben auf der Meeresoberfläche weiter voranzutreiben?
Wir bauen keine Häuser auf der Meeresoberfläche, sondern bevorzugt in Binnengewässern, also in geschützten Wasserlagen, wie zum Beispiel brachliegenden Hafenarealen, Marinas, Baggerseen, Tagebauseen oder Kanälen.

INFO

OCEAN SPIRAL: UNTERWASSER LEBEN UND ARBEITEN

Der grösste Teil unseres Planeten liegt unter der Meeresoberfläche. Und da liegen riesige Mengen unentdeckter Schätze verborgen wie zum Beispiel Rohstoffe, Nahrung und Energie. Sie zu nutzen, könnte hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen – und es notwendig machen, dass Städte am Meeresgrund entstehen. Es bestehen daher bereits zahlreiche Forschungsprojekte, die sich mit dem Leben Unterwasser beschäftigen. Weit fortgeschritten sind die Pläne der japanischen Firma Shimizu. Ihre «Ocan Spiral» soll dereinst für 5000 Menschen einen Lebensraum bieten und mit einer Erdfabrik am Meeresgrund verbunden sein.
(Foto: Shimizu)

Sehen Sie das Potenzial für schwimmende Häuser und Städte auch in Binnenländern – also auf Seen?
Auf jeden Fall. Seen bieten normalerweise zahlreiche Vorteile für ein schwimmendes Haus. Die Standortbedingungen im Hinblick auf Wind und Wellengang sind in der Regel optimal. Zudem bieten sie riesiges Potenzial für grossräumige Entwicklung an. Das ist ein Grund, warum wir bereits mehrere Projekte in Binnengewässern erfolgreich realisiert haben. Aktuell entstehen in Deutschland viele künstliche Seenlandschaften, zum Beispiel auf alten Tagebau-Flächen. Diese Standorte sind für uns besonders attraktiv, denn sie bieten grosse Potenziale für eine touristische Nutzung oder das dauerhafte Wohnen auf dem Wasser.

Wie beeinflussen schwimmende Häuser die Ökologie der Gewässer?
Wichtig für schwimmende Häuser sind nachhaltige Materialien, wie zum Beispiel ein unbehandelter Schwimmkörper, die keinerlei negative Einflüsse auf die Wasserqualität aufweisen. Tatsächlich wirken schwimmende Häuser im Hinblick auf die Biotopförderung sogar positiv. Ein Beispiel sind Häuser, die in einem maritimen Hafenbecken liegen.

Hier bietet die Unterseite der Häuser, also der im Wasser schwimmende Ponton, einen hervorragenden Lebensraum für Muscheln und viele andere Meeresbewohner. So wird das schwimmende Haus zu einem Bestandteil des maritimen Ökosystems.