Foto: mi-viri/iStock.com

Medizin und Gesundheit

Am Körper getragene oder ins Haus integrierte Sensoren können Krankheiten frühzeitig erkennen und teilweise verhindern. Die Medizin steht vor tiefgreifenden Änderungen.

Interview — Raphael Hegglin

*Prof. Dr. Andrew Paice
ist Leiter des iHomeLab der Hochschule Luzern. Mit seinem Team betreibt er Forschung zu Gebäudeintelligenz im Bereich Smart Energy Management, Health and Sensor Solutions, Safe Building Intelligence sowie technisch unterstütztes Wohnen im Alter.

«NEUE TECHNOLOGIEN WERDEN BESSERE PRÄVENTION ERMÖGLICHEN»


Vorbeugen ist bekanntlich besser als heilen: Schon heute gibt es Systeme, mit denen sich zuhause die Gesundheit und Vitalfunktionen überwachen lassen. Doch sie arbeiten noch sehr eingeschränkt. Was dürfen wir in Zukunft erwarten? 

Wir erwarten, dass sich diese Technik stark weiterentwickelt. Zum einen wird es neue Geräte oder Weiterentwicklungen von bestehenden Geräten – zum Beispiel Fitnesstracker oder Smartwatches – geben, die immer mehr können. Parallel dazu wird es Fortschritte bei medizinischen Geräten und Konzepten im professionellen Bereich geben, wie zum Beispiel das Modell «Hospital at home». Mit solchen Technologien und Konzepten sollen zwei Ziele erreicht werden: Erstens sollen interessierte Menschen befähigt werden, sich mehr um ihre Gesundheit zu kümmern, indem sie ihre täglichen Aktivitäten messen und daraus Handlungen ableiten – beispielsweise mit einem Schrittzähler, der zu mehr Bewegung motiviert. Das zweite Ziel ist, die Gesundheitskosten zu reduzieren – durch bessere Prävention mit den oben erwähnten Mitteln und indem die Aufenthaltszeit im Krankenhaus reduziert wird. Diese beiden Bereiche werden eng miteinander verknüpft sein. 

Eine grosse Herausforderung ist, dass heute Studien und Zertifizierungen von Geräten im Consumer-Bereich fehlen. Diese würden einen einwandfrei sicheren Einsatz garantieren. Das Risiko von Fehlinterpretationen oder dass man sich durch den Einsatz von smarten Geräten in falscher Sicherheit wiegt, ist ebenfalls ein Thema, dem man sich in Zukunft widmen muss. Da ist zum Beispiel die Frage: Wer haftet, wenn ein Sensor versagt, der auf ein gesundheitliches Risiko hinweisen soll?

INFO

STRESS VORBEUGEN: DER STIMMUNG ANGEPASSTE ATMOSPHÄRE

Schon bald werden die meisten Menschen eine Smartwatch tragen, welche die wichtigsten Vitalfunktionen permanent überwacht und Stress frühzeitig erkennt. Das Smarthome liest diese Daten ebenfalls und reagiert auf sie. Es reguliert zum Beispiel die Farbtemperatur und die Helligkeit, sodass je nach Bedarf eine beruhigende oder eine anregende Atmosphäre entsteht. Ebenfalls kann das Smarthome Bewegungs-, Entspannungs- oder Meditations-Pausen anleiten, wenn der Gesundheits-Tracker ein besonders hohes Stresslevel oder körperliche Verspannungen erkennt. Ebenfalls wichtig ist das Vorbereiten auf den Schlaf: Das Haus optimiert die Lichtverhältnisse ausreichend früh und minimiert den Blaulichtanteil. Der Körper stösst darauf Schlafhormone aus und wird müde, sodass man zur gewünschten Zeit einschlafen kann.
(Foto: cloudlynx/pixabay.com)

Auch im Haus selbst sollen Systeme unsere Gesundheit überwachen. Werden tägliche Gesundheitschecks – zum Beispiel mittels WC – Ihrer Meinung nach dereinst Standard sein oder bleiben sie bestimmten Bevölkerungsgruppen vorbehalten?

Bis solche Anwendungen in der Praxis funktionieren, wird es noch eine Weile dauern. Aber längerfristig könnten sie zur Anwendung kommen. Inwiefern solche Technologie jedoch allgemein zugänglich wird, hängt von den Kosten und der Zertifizierung ab. Es könnte zu einem ungleichen Zugang, je nach sozialer Schicht oder Wohlstand, kommen. Ebenfalls wird entscheidend sein, wer Zugang zur Energie- und Daten-Infrastruktur sowie zu qualifiziertem Personal für die Installation, die Wartung und Reparaturen haben wird.

Geklärt werden muss auch, wie medizinische Anwendungen für alle Ethnien gleichermassen funktionieren können. Denn schon jetzt wissen wir zum Beispiel, dass bei Menschen mit dunkler Hautfarbe die Sauerstoffsättigung mittels optischen Sensoren falsch, nämlich zu hoch, eingeschätzt wird.  Wir müssen also dafür sorgen, dass die Datenbasis für jede Bevölkerungsgruppe sorgfältig gesammelt wird, und dass die Funktionen und Sicherheit der Geräte gründlich geprüft werden.


Auch das iHomeLab forscht an medizinischer Diagnostik für zuhause. Womit beschäftigen Sie sich momentan konkret?Wir betreiben zahlreiche interessante Projekte zur Telemedizin, Tele-Rehabilitation, dem Erkennen von Aktivitäten im Alltag und zu Umgebungssensoren. Weiter beschäftigen wir uns mit dem frühzeitiges Erkennen von gesundheitlichen Problemen mittels Biosignalen und mit Messmethoden für personalisierte Medizin.

INFO

SMARTE MATRATZEN: DER SCHLAF ERZÄHLT VIEL

Guter Schlaf ist wesentlich für die Gesundheit – und während des Schlafs lassen sich zahlreiche Krankheiten wie Schlafapnoe, Herzprobleme oder Bluthochdruck besonders gut überwachen. Intelligente Matratzen sind daher mit zahlreichen Sensoren ausgerüstet und übermitteln Gesundheitsdaten wie Herzfrequenz, Atmung, Muskelkontraktionen und Unruhe in Echtzeit ans Smarthome-System. Schon heute sind Matratzen erhältlich, welche die Herzfrequenz, die Atmung und die Bewegung überwachen. Doch in Zukunft werden smarte Matratzen mit noch viel mehr Funktionen ausgestattet sein. 

Welches sind Ihres Erachtens die zukunftsträchtigsten Technologien in diesem Bereich und wie funktionieren sie?
Die Verarbeitung von Daten mittels Machine Learning bildet die Grundlage für sämtliche intelligenten und lernfähigen Anwendungen. Optische Sensoren, die neuartige Messungen ermöglichen, sind ebenfalls eine wichtige Technologie, beispielsweise für Schlaflabors oder in der Orthopädie. Nach meiner Ansicht ist aktuell die Erzeugung von synthetischen Daten für das Trainieren von neuen Machine-Learning-Algorithmen sehr wichtig, weil in der heutigen Zeit oft die Datenbasis für das Training künstlicher Intelligenz fehlt. Man steht noch ganz am Anfang dieser Technologie. Wir entwickeln daher Systeme, die solche synthetischen Daten erzeugen. Weitere interessante Felder sind interaktive, adaptive und lernende Algorithmen, die den Kontext und die Person erkennen und somit eine personalisierte, auf den Moment angepasste Intervention oder Interaktion ermöglichen. Beispielsweise bei der Dosierung von Medikamenten oder bei der Erkennung von Verhaltensmustern zur Früherkennung von Krankheiten wie zum Beispiel Demenz.


Wie steht es um die Datensicherheit? Gesundheitsdaten sind hochsensibel, werden sie in Zukunft ausreichend geschützt sein?
Dafür müssen wir sorgen! Darauf fokussiert ein wichtiger und grosser Teil unserer Forschungsarbeit. Die Gesetzesgrundlagen sind teilweise vorhanden. Das Problem ist, dass wir heute nicht vorhersagen können, welche Erkenntnisse sich mit zukünftigen Methoden aus den heute gemessenen Daten gewinnen lassen. Es ist nicht absehbar, wie sich künstliche Intelligenz entwickelt. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass sich bereits heute mittels alter Stimmaufnahmen und künstlicher Intelligenz erkennen lässt, ob 
jemand an Parkinson erkranken wird. Ein anderes Beispiel ist die Auswertung von DNA-Spuren, die vor Jahrzehnten gesammelt wurden und heute zu ganz neuen Erkenntnissen in der Kriminaltechnik führen.

Es gibt jedoch schon heute interessante Konzepte und Produkte, welche die Sicherheit und Anonymität gut gewährleisten. Durch sie werden zum Beispiel zu Hause gemessene Gesundheitsdaten erst im sicheren Bereich, beispielsweise im Krankenhaus, einer konkreten Person zugeordnet.