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Geschichte der Elektrizität

Ohne Strom läuft heute nichts — und wir halten ihn für selbstverständlich. Doch wie haben die Menschen vor der Elektrifizierung gelebt? Und was, wenn der Strom knapp wird oder gar ausfällt?

Text — Tanja Seufert

 

Ein Tag ohne Strom? Heute kaum noch vorstellbar. Sogar auf dem Campingplatz würde ohne Strom kein Wasser zum Duschen fliessen. Auch das Steak, das am Abend auf dem Grill landet, wäre ohne Kühlung längst schlecht geworden.

Ohne Strom wären so ziemlich alle Annehmlichkeiten des täglichen Lebens dahin – stattdessen würde Chaos ausbrechen. Im Supermarkt würden weder Türen, Kassen noch die Kühlung der Lebensmittel funktionieren. Autos stünden ebenso still wie Züge, denn auch Zapfsäulen sind mit Strom betrieben. Und ohne Mobilfunknetz erläge die Kommunikation sofort.

 

KEIN STROM? BIS VOR 100 JAHREN GANZ NORMAL

Was uns heute den Angstschweiss auf die Stirn treibt – mehrere Tage ohne Strom auskommen zu müssen – war für unsere Vorfahren völlig normal. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hielten elektrische Geräte Einzug in die Privathaushalte. 

Die Geschichte der Elektrifizierung ist faszinierend – und verlief in den letzten 200 Jahren in einem atemberaubenden Tempo. Erste Experimente wurden indes schon in der Antike durchgeführt: So entdeckte der griechische Philosoph Thales von Milet etwa 550 v. Chr. die elektrische Ladung von Teilchen, welche durch Reibung entsteht. Auch wenn er vermutlich nicht der Einzige war, der dieses Phänomen beobachtete, gilt Thales von Milet als Entdecker der Elektrizität.

Doch erst um 1600 entstand dafür der Begriff «Electrica», und ab dem 18. Jahrhundert ging die Forschung richtig los. Ohne die Grundlagenforschung der brillanten Wissenschaftler des 18. bis 19. Jahrhunderts wäre die Elektrizität nie zur Anwendung gekommen. Es war das Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen.

DER EXPERTE

Eugen Leibundgut
Partner bei RM Risk Management AG

«MIT BLACKOUTS IST ZU RECHNEN»

Herr Leibundgut, steuern wir auf einen Strommangel oder gar einen Blackout zu?
Die Wahrscheinlichkeit einer Strommangellage bzw. eines Blackouts hat sich stark erhöht infolge des Kriegs in der Ukraine, aber auch der Tatsache, dass immer mehr Strom verbraucht wird und der Nachschub fehlt. Zugleich steigen seit dem Krieg die Hackerangriffe massiv, was wiederum dazu führen wird, dass Stromversorger gehackt und damit Blackouts verursacht werden können.

Wie hoch ist denn die Gefahr eines europaweiten Blackouts?
Während die Medien das Risiko als sehr hoch darstellen, gehen Experten davon aus, dass es eher gering ist. Immerhin müsste für einen kompletten Blackout die gesamteuropäische Stromversorgung betroffen sein, denn das Stromnetz ist schon seit vielen Jahren international. Fällt nur ein Kraftwerk aus oder sind die Kraftwerke einer Region betroffen, kommt es zwar zu einem Versorgungsengpass, einen Komplettausfall wird es aber nicht geben. Anders sieht es aus, wenn Leitungen und Verteileranlagen betroffen sind: In diesem Fall könnte es zumindest in einzelnen Städten oder Regionen auch zu einem Komplettausfall über mehrere Stunden bis hin zu Tagen kommen. Aber auch da wäre nicht die gesamte Schweiz betroffen. 

Brauchen wir in Zukunft als Backup Notstrom zuhause und wenn ja, in welcher Form?
Ich denke nicht. Taschenlampen, Kerzen, Gas- oder Campinggrill, geeignete Lebensmittelvorräte und ausreichend Trinkwasser genügen als Vorsorge.

ABENTEUERLICHE EXPERIMENTE MIT ELEKTRIZITÄT

Einer der Gründungsväter der USA, Benjamin Franklin (1706 – 1790), war auch ein leidenschaftlicher Erfinder. Er fand heraus, dass elektrische Ladungen in der Luft von Metallspitzen angezogen werden, was er in mehreren Experimenten beweisen konnte. So liess er in der Nähe eines Gewitters einen «elektrischen Drachen» steigen und konnte so Funken erzeugen.

Franklin gilt als Erfinder des Blitzableiters. Die Experimente mit Elektrizität waren teilweise gefährlich – aber immer spektakulär. Vorführungen mit elektrischen Phänomenen waren in jener Zeit sehr beliebt. Und sind es, man denke an das Technorama Winterthur, auch heute noch.
 

INFO

WAS IST EIN BROWNOUT, WAS EIN BLACKOUT?

Ein Brownout ist ein temporärer, abrupter Spannungsabfall im Stromnetz, wenn die Nachfrage die Kapazitäten übersteigt. Er macht sich zum Beispiel durch ein Flackern der Beleuchtung bemerkbar, manchmal schalten sich auch Geräte aus oder starten neu. Dies ist ein Mechanismus, um einen Stromausfall zu verhindern. Als Blackout gilt ein grossräumiger und länger andauernder Stromausfall. Während lokale Stromausfälle meist schnell behoben sind, können Blackouts auch Tage oder schlimmstenfalls wochenlang andauern. Ein kompletter Unterbruch der Stromversorgung wird zum Beispiel durch Unwetter, welche Stromleitungen beschädigen, oder technische Störungen verursacht.

WIE DER STROM IN DIE HAUSHALTE KAM

Einer der wichtigsten Meilensteine für die Elektrifizierung war gewiss das Patent von Thomas Alva Edison: die Glühbirne. Zwar hat Edison die Glühbirne nicht erfunden – dieser Mythos wurde widerlegt – doch er hat sie so weiterentwickelt, dass sie zur ersten breit einsetzbaren Elektrobeleuchtung wurde. Und weil er ein cleverer Geschäftsmann war, liess er das Produkt 1880 patentieren. Doch erst mit dem anschliessenden Ausbau der elektrischen Versorgung – Kraftwerke und Netze – kam Edisons Glühbirne auch in die Haushalte und öffentlichen Gebäude.

HISTORIE

MEILENSTEINE DER ELEKTRIFIZIERUNG

1600 — Der Wissenschaftler William Gilbert untersucht die elektrische Aufladung und führt den Begriff «Electrica» ein.

1672 — Der Physiker Otto von Guericke erzeugt mit seiner «Schwefelkugel- Elektrisiermaschine» durch Reibung ein elektrisches Leuchten.

1745 — Der erste Kondensator zur Speicherung von elektrischen Ladungen wird fast zeitgleich von Ewald J.G. von Kleist und Pieter van Musschenbroek erfunden.

Um 1750 — Benjamin Franklin, Wissenschaftler und Politiker, führt verschiedene Experimente mit der Gewitterelektrizität durch. Er gilt als Erfinder des Blitzableiters.

1780 — Der Physiker Alessandro Volta erfindet die Voltasche Säule («Voltasäule»), die erste Batterie. 

19. Jahrhundert — Bahnbrechende Entdeckungen verschiedenster Wissenschaftler, u.a. André-Marie Ampère oder Michael Faraday oder James Clerk Maxwell, führen zu einer praktischen Anwendung der Elektrizität. Das Zeitalter der Elektrifizierung beginnt.

1833 — Samuel F. B. Morse konstruiert den ersten Schreibtelegrafen.

1843 — In Paris wird erstmals ein Platz – die Place de la Concorde – elektrisch beleuchtet. Die Kohlebogenlampe ist das erste elektrische Leuchtmittel.

1880— Der Erfinder Thomas Alva Edison erhält das Patent für die Glühlampe. Sie funktionierte mit Wolfram statt Kohle und war das erste elektrische Leuchtmittel für eine breite Anwendung.

1880ern — Beginn der Industrialisierung (industrielle Revolution). Vor allem wohlhabende Haushalte verfügen zunehmend über eine elektrische Beleuchtung. 

1886 — Der Drehstrom (Wechselstrom) wird erfunden, u.a. von Nikola Tesla.

1880-1900 — Die ersten Transformatoren werden gebaut und lokale Stromnetze (Inselnetze) installiert. Die Kraftwerke werden zunehmend vernetzt.

1920er — Immer mehr Haushalte werden elektrifiziert.

1940er — Der Kohlemangel nach den Weltkriegen führt dazu, dass in den Haushalten Elektroherde aufkommen und mit «weisser Kohle» gekocht wird.

2016 — Knapp 90% der Weltbevölkerung verfügen über einen Stromanschluss.
 

WECHSELSTROM: STARTSCHUSS FÜR ELEKTROGERÄTE

Bis hierhin kannte man nur Gleichstrom. Eine neue Ära der Elektrifizierung brach 1886 an, als Nikola Tesla und George Westinghouse den Wechselstrom erfanden. Er ist bis heute die übliche Art, um Strom zu übertragen. Mit dem Transformator, den Tesla 1891 erfand, konnte erstmals Hochspannung erzeugt werden – und damit Strom für Elektrogeräte wie Elektroherde, Kühlschrank und Elektrospeicherheizung. Kraftwerke und Stromnetz wurden kontinuierlich ausgebaut und immer mehr Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Und heute? Nach Jahren des Überflusses ist wieder Stromsparen angesagt. Es ist auch ein wenig Rückbesinnung auf die Zeiten, als die Menschen auch ohne TV, Tablet und Tumbler ganz zufrieden waren.